Störungen der Hypophysenfunktion nach Schädelhirnverletzungen

Vortrag von Dr. Engelbach, Neurologischer Kongress im Kloster Eberbach

 

In Deutschland erleiden ca. 27.000-40.000 Menschen pro Jahr bei Unfällen eine schwere Schädelhirnverletzung. Zahlreiche Folgeerkrankungen sind als Folge dieser Hirnschädigung bekannt. Erst in den letzten Jahren rückt eine Schädigung der Hirnanhangsdrüse als Folge des Schädelhirntraumas in den Focus wissenschaftlicher Untersuchungen.

Die Hypophyse liegt im Bereich der Schädelbasis und ist durch einen dünnen, 14 mm langen Stiel mit dem Zwischenhirn (Hypothalamus) verbunden. Bei Schädelhirnverletzungen mit Hirnschwellung (Hirnödem), starken Hirndruckschwankungen, verminderter Sauerstoffversorgung oder einem Schädelbasisbruch kann es zu Einblutungen in die Hypophyse und/oder den Hypothalamus kommen. Das Gewebe kann absterben (Nekrose) oder sich in Bindegewebe umwandeln (Fibrose). Die Folge ist eine verminderte oder ausfallende Produktion von lebenswichtigen Hormonen.

Als wichtigste Hormondrüse des Körpers steuert die Hypophyse, vor allem der Hypophysenvorderlappen, andere Hormondrüsen: die Schilddrüse, die Nebennierenrinde, die Geschlechtsdrüsen. Außerdem wird Wachstumshormon gebildet.

In Expertenkreisen besteht die Einschätzung, dass bei ca. 30-40% der Patienten mit Schädelhirntrauma eine Schädigung der Hormonproduktion der Hirnanhangsdrüse vorliegt!

Häufig entwickelt sich die Unterfunktion der Hypophyse langsam und ist in ihren Symptomen zunächst schwer unterscheidbar von den Folgen der Schädelhirnverletzung selbst. So können Leistungsabfall, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Depressionen und Schlafstörungen Zeichen eines Mangels an Schilddrüsenhormon, Cortisol oder Wachstumshormon sein. Verminderte oder ausbleibende Monatsblutungen bei der Frau und Potenzminderung beim Mann können auf das Fehlen von Geschlechtshormonen hinweisen. Der plötzliche, gänzliche Ausfall der Produktion von Schilddrüsenhormonen und/oder Cortisol führt zu lebensbedrohlichen Krisen, die schnell erkannt und durch entsprechende Hormongaben behandelt werden müssen.

Neuere Studien lassen vermuten, dass allein in Deutschland ca. 5.000 Menschen pro Jahr an einer neu auftretenden Funktionsstörung der Hypophyse nach einer Schädelhirnverletzung erkranken. Wegen der eher unspezifischen Symptomatik wird eine Diagnose oft erst Monate bis Jahre nach dem Trauma gestellt. Deshalb wird bei allen Patienten mit mittelschweren und schweren Schädelhirnverletzungen, sowie bei allen Patienten mit einem verzögerten Rehabilitationsverlauf eine Abklärung der Hypophysenfunktion empfohlen. Sinnvoll sind Untersuchungen in der Akutphase, nach drei Monaten sowie ein Jahr nach dem Trauma. Durch eine gezielte endokrinologische Untersuchung mit entsprechenden Funktionstests kann ein auftretender Hormonmangel frühzeitig erkannt und durch Gabe der fehlenden Hormone behandelt werden. Eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität und der Lebenserwartung ist dadurch möglich. Welche Hormongabe im Einzelfall sinnvoll ist, muss unter Berücksichtigung der individuellen Krankheits- und Lebenssituation entschieden werden.